Mittwoch, 7. Dezember 2011

Chläuse und Cyborg-Models

Gestern Abend griff der Blick-am-Abend-Chefredaktor höchstpersönlich für den Leitartikel in die Tasten. Damit unterstreichen Chefredaktoren gerne die Brisanz eines Themas. Der Titel der Geschichte auf der Front: "Weihnachtsmann bedroht Samichlaus und Christkind: Imperialist!" Auf Seite 2-3 wurde genauer gesagt, worum es geht: "Globalisierung bedroht Samichlaus".

Wir erfahren, dass der Samichlaus, ursprünglich ja ein Heiliger, heute von den US-Chläusen "platt" gemacht wird. Plötzlich ist er "ein fröhlicher, barocker und grosszügiger Geselle. Was für ein Gegensatz zum Samichlaus, der aus dem dunklen Wald auftaucht, mit einem düsteren Schmutzli als Helfer, verlängerter Arm der Eltern, der den Kindern Benehmen beibringen soll, mit der Fitze droht, ein paar Nüssli und viele Drohungen zurücklässt und wieder verschwindet!" (Sie sehen, der Chefredaktor mag lange Sätze. Sympathisch.) Bei der Bildlegende für den Chlaus made in USA steht dazu noch: "Unheiliger: Mit dickem Wanst, Zipfelkappe, Trinkernase."


Das ist natürlich unerhört. Obwohl: Laut meinen Kindheitserinnerungen (länger her) war der Samichlaus immer schon ein dicker Mann, der nach Bier roch und meinem Onkel zum Verwechseln ähnlich sah.


Aber ich habe die Botschaft trotzdem verstanden: Lieber Chlaus mit Zipfelmütze schlecht, böser Chlaus mit Stab und Schmutzli gut.


Etwas unglücklich daher, dass auch die Literatur-Seite das Thema "Samichlaus" behandelt. Nicht, weil es nicht passen würde, aber weil auf der Seite gross dieses Bild prangt:

Die Bildlegende dazu: "Die Geschichte von Sankt Nikolaus: Ein Buch für grosse und kleine Samichlaus-Fans". Der BlaA bebildert also seine Literatur-Seite just mit einem der angeblichen US-Satans-Chläuse, die dem Chefredaktor so zuwider sind. Das Bild ist wohl wirklich aus den USA: es heisst "Santa Claus Reading Book With Young Girl" von David de Lossy, und man findet es hier. Eine eher (ch)lausige Bildwahl.

Schöner fand ich das Foto zum Kommentar auf Seite 2. Ich habe es lange und gerne angeschaut. Nur wurde ich aus dem Kommentar mit dem Titel "Danke, Cyborg Models" nicht ganz schlau. Worum es geht: H&M gab zu, die Körper ihrer Webshop-Models "komplett am Computer zu designen". Und das sei - jetzt kommt's - "pünktlich zum Samichlaus (...) gute News aus dem hohen Norden".

Warum sind das gute News laut der Person mit dem Kürzel "lhb"? Die, wie ich befürchte, weiblichen Geschlechts ist? Die Erklärung im Text "Cyborg Models – die beste Erfindung seit der Stretchjeans! Während die Bilder von realen Supermodels in jedem Frauenhirn umhergeistern, fühlt sich keine Frau durch ein künstliches Wesen bedroht. Die virtuelle Welt dient nicht zum Vergleich. Und ein animiertes Model mit seinem perfekten Körper wird sich in der Badi nie neben uns legen. In diesem Sinne können wir getrost noch einmal einen Bissen vom Lebkuchen nehmen."


Es gibt nun zwei Möglichkeiten. Entweder, der ganze Kommentar ist ironisch gemeint (Sie kennen das vielleicht: Es ist das Gegenteil von dem gemeint, was gesagt wird.) Allerdings: Man müsste jeden Satz von Anfang bis Schluss ins Gegenteil verkehren.


Ich tippe eher auf Möglichkeit zwei: Nämlich, dass hier ein Fall von "nicht überlegt, bevor die Finger auf die Tasten stürzten" vorliegt, um Helmut-Maria Glogger zu zitieren. Dank Glogger wissen wir ja auch: "Fingern ist einfach, schreiben ist schwer"


Und falls jemand sich fragen sollte, wo denn eigentlich das Problem liege: Die Aussage, ein "künstliches Wesen" bedrohe die Frauen nicht (denn die "virtuelle Welt dient nicht zum Vergleich"), ist ungefähr gleich intelligent wie die Aussage, all unsere kulturelle Produktion (von Mona Lisa zu Barbie, von Barbarella zu Hentai) habe keinerlei Einfluss auf unsere Welt und uns Menschen. Ein Cyborg-Model kann sich zwar tatsächlich nicht "in der Badi (...) neben uns legen". Aber vielleicht lächelt das unerreichbare virtuelle (Vor)bild uns vom Plakat beim Badi-Kiosk her zu. Und ganz sicher "geistert" es in unserem Gehirn umher. Ich habe es wie gesagt lange genug angeschaut.

1 Kommentar:

  1. Und das Beste: "Um der Rassenvielfalt gerecht zu werden, färbt H&M die animierten Kurven einfach heller oder dunkler ein."

    Aha. Welcher "Rassenvielfalt" will man denn hier gerecht werden? Soweit ich weiss, gehören alle heute lebenden Menschen einer einzigen "Rasse" an, genannt Homo Sapiens Sapiens (der "weise Mensch"). Naja, vielleicht alle, bis auf einige BlaA Journis.

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